Kunststoffe haben sich daher insbesondere in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung vom ursprünglichen „Alleskönner und Problemlöser“ zum „Problemverursacher“ gewandelt.
Quo vadis Kunststoffrecycling?
Auszug aus H.-J. Endres (2023): Quo vadis Kunststoffrecycling?, Jahresmagazin Kunststofftechnik, WAK – Wissenschaftlicher Arbeitskreis Kunststofftechnik, S. 36-44, ISSN: 1618-8357
Die stetig zunehmende Nutzung der Kunststoffe ist heutzutage mit wachsenden negativen ökologischen Auswirkungen verbunden. Kunststoffe haben sich daher insbesondere in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung vom ursprünglichen „Alleskönner und Problemlöser“ zum „Problemverursacher“ gewandelt.
Die vielfältigen vorteilhaften Verarbeitungs- und Gebrauchseigenschaften sind im Hinblick auf die End of Life Situation der Kunststoffprodukte nachteilig. So führen die hohe Materialvielfalt und die große Anzahl an Additivierungsmöglichkeiten zwar zu maßgeschneiderten Werkstoffen, aber gleichzeitig ist die Trennung der verschiedenen Polymerwerkstoffe in den Abfallströmen nach der Nutzungsphase schwierig. Neben den Materialmischungen selbst ist auch der Verbleib bzw. eine Verschleppung unerwünschter Additive in neue Anwendungen problematisch. Die in alten, langlebigen Kunststoffbauteilen noch enthaltenen Additive, wie bspw. halogenierte Brandschutzverbindungen, sind heute aufgrund ihrer inzwischen bekannten (Öko-) Toxizität verboten und müssen daher beim Recycling gezielt ausgeschleust werden. Farben bieten in ihrer Vielfältigkeit für die Designer einen großen optischen Spielraum, stellen aber im Abfallstrom aufgrund ihrer hohen Bandbreite eine große Herausforderung für die resultierende Farbqualität von mechanischen Kunststoffrezyklaten dar. Die gute Bedruck-, Bekleb- oder Kaschierbarkeit von vielen Kunststoffen führt zu weiteren organischen Kontaminationen (Druckfarben, Klebstoffe, Papier, usw.) des Abfalls als Inputstrom für ein Recycling.
Die gute Verarbeitbarkeit ist für die Kunststofftechnik vorteilhaft, bedeutet aber gleichzeitig auch in einigen Fällen große Müllvolumina oder führt zu unterschiedlichen Materialkombination, wie bspw. Multilayerfolien, coextrudierte Profile oder Mischtextilien.
Bei der Entdeckung der Kunststoffe vor mehr als 100 Jahren war die chemische Überführung von nicht beständigen natürlichen organischen Substanzen, wie Pflanzenöle, Caseine oder Latex, in (langzeit-)beständige Werkstoffe ein oder gar der wesentliche Schlüsselfaktor für den Erfolg dieser neuen Werkstoffklasse in den adressierten langlebigen Anwendungen. Dieser Erfolgsfaktor hat sich in der Gegenwart mit der Verbreitung langzeitbeständiger Kunststoffe für oft nur kurzlebige Produkte, wie Verpackungen oder Einwegbesteck, insbesondere bei einer schlechten Abfalllogistik, zunehmend umgekehrt. Ihre Beständigkeit, die gleichbedeutend mit einer hohen Persistenz ist, führt zu einer ubiquitären und ökologisch problematischen Verbreitung in nahezu allen Umweltkompartimenten.
Der für die Erstanwendung der Primärmaterialien vorteilhaft niedrige Preis bietet kaum wirtschaftlichen Spielraum oder ökonomischen Anreiz für ein höherwertiges Recycling. Daher erfolgen die Investitionen in neue Recyclinganlagen nur recht zurückhaltend. Hinzu kommt die oft wirtschaftlich kleinteilige Skalierung in der Recyclingbranche. In Europa stehen etwa 1.000 Recyclern mit einer Gesamtkapazität von ca. 12 Mio Jato – d. h. einer mittleren Kapazität von etwas mehr als 10.000 Jato – wenige Primärkunststoffhersteller mit Jahresproduktionskapazitäten im siebenstelligen Tonnagenbereich gegenüber.
Die „Kunststoff-Medaille“ hat also zwei Seiten. Auf der einen Seite sind Kunststoffe als Werkstoffe unverzichtbar, auf der anderen Seite führen insbesondere der petrochemische Rohstoffursprung zu Beginn des Lebenszyklusses sowie verschiedene End of Life Szenarien (Verbrennung, (unkontrollierte, offene) Deponierung, Littering, Abrieb) zu immer deutlicher werdenden negativen ökologischen Auswirkungen. Der logische Ausweg aus diesem „Kunststoff-Dilemma“ ist ein nachhaltigerer Umgang mit Kunststoffen, d. h. eine zirkuläre statt lineare Wirtschaftsweise.
Die Kunststoffindustrie steht an einem Wendepunkt. Während bisher beim Einsatz das übergeordnete Ziel darin lag eine maximale Verarbeitungs- und Gebrauchsperformance bei minimalen Kosten zu erreichen, ist nun ein drittes Ziel hinzugekommen, d. h. die Lösungen sollten zusätzlich auch nachhaltiger sein.
Für einen nachhaltigeren Umgang mit Kunststoffen gibt es verschiedene Ansätze, wie Reduzierung der Materialvielfalt, konsequenter Verzicht auf möglicherweise bedenkliche Additive, Leichtbau oder Downsizing. Auch Konsumverzicht ist ein ökologisch sinnvoller Ansatz, jedoch wird dies als „Game changer“ nicht ausreichen. Erforderlich ist insbesondere die Abkehr von einer für die einzelnen Akteure rein gewinnoptimierten linearen Wirtschaftsweise hin zum zirkulären Handeln, bei dem am Ende mit den Kunststoffen der gleiche Nutzen generiert wird, jedoch mit einem deutlich geringeren Ressourcenbedarf und einem signifikant reduzierten ökologischen Impact. Durch die lineare Nutzung geht in der deutschen Kunststoffindustrie jährlich mehr als die Hälfte des eingesetzten Kohlenstoffs wieder verloren1. Zirkuläres Handeln bedeutet insbesondere die multiple Nutzung des Kohlenstoffs. Dies kann im Wesentlichen durch drei verschiedene Ansätze erfolgen, von denen einer das Recycling von Kunststoffprodukten ist.
Bringezu S. et.al (2020), Zukünftige Nutzung von CO2 als Rohstoffbasis der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie, Universität Kassel und Center For Environmental Systems Research (CESR), DOI: 10.17170/KOBRA202002211019
Impressum
Das IKK – Institut für Kunststoff- und Kreislauftechnik betrachtet in seiner Forschungsarbeit den gesamten Lebenszyklus von biobasierten und konventionellen Kunststoffen, von der Materialentwicklung bis zur anwendungsorientierten Umsetzung. In diesem Themenkomplex liegt der Schwerpunkt auf Recycling und Ressourceneffizienz.
Institut für Kunststoff- und Kreislauftechnik
Produktionstechnisches Zentrum der Leibniz Universität Hannover /
PZH
An der Universität 2
30823 Garbsen
Telefon:
+49 511 762 13302
Vertreten durch:
Prof. Dr.-Ing. Hans-Josef Endres
endres@ikk.uni-hannover.de